Selbstverteidigungssituationen
entstehen nicht im luftleeren Raum. Vielmehr geht ihnen oft eine
längere Vorgeschichte voraus und die Tat wird oft über einen längeren Zeitraum angekündigt. Kurz, es geht um implizite wie explizite
Drohungen. Wie soll man nun mit den Drohungen im Beruf, im
öffentlichen Leben aber auch in der Familie umgehen? Dieser Frage
ging der Gerichtspsychiater Erich Sachs in seinem 2009 erschienen
Buch „Umgang mit Drohungen, Von Telefonterror bis Amoklauf" nach.
Sachs
nähert sich dem Thema von der praktischen Seite. Er beschäftigt
sich mit den Fällen, in denen Drohungen als „destruktive Gewalt
zur Durchsetzung eigener Interessen“ verstanden werden. Denn
Drohungen begegnen uns laufend im täglichen Leben. Die Drohung gegenüber Mitmenschen ist
deswegen so perfid, weil sie das Opfer in Angst versetzen soll. Soll
man darauf reagieren oder abwarten und vielleicht voller Angst
hoffen, dass der Drohung keine Tat folgt.
Entscheidend
ist, wie wir das Risiko einschätzen, dass die Drohung umgesetzt
wird. Sachs macht dazu den Leser mit den Forschungsergebnissen der
Gerichtspsychiatrie bekannt. Diese hat über die vergangenen
Jahrzehnte einen Kriterienkatalog aus Lebensgeschichte (zB frühere
Gewalttaten), Verhalten und Einstellung (zB fehlende Bereitschaft
Hilfe anzunehmen) und Zukunftsperspektiven (zB fehlende Unterstützung
von außen und subjektiv empfundene Perspektive) erarbeitet, nach dem
die von einem Täter ausgehende Gefahr eingeschätzt wird.
Ab
da geht Sachs in die Tiefe. Ausgehend von der Persönlichkeit des
Drohenden (Neigung zu Gewalttaten, Waffenbesitz, Drogenmissbrauch,
Persönlichkeitsstörungen oder übertriebenes Misstrauen gegenüber
anderen), über die Beziehung des Drohenden zum Opfer (empfundene
Demütigung, zurückgewiesene Liebe), das Motiv des Drohenden
(Durchsetzung von Interessen, Demütigung des Opfers oder Kontrolle
über dieses), der Form und Formulierung der Drohung, bis hin zum
Verhalten des Opfers geht Sachs zuerst einmal auf die allgemeinen
Grundlagen ein, nach denen eine Drohung eingeschätzt werden kann.
Ein interessanter Abstecher ist dabei das Unterkapitel „Bedrohliche
Orte“, das die Dynamik von gefährlichen Hotspots beleuchtet.
Danach wendet er sich erstmals Beispielen aus der Praxis zu, um
verschiedene Szenarien von Drohungen durchzuspielen.
Im
zweiten Hauptkapitel geht Sachs auf die besonderen Fälle wie
Telefonterror und Stalking oder Drohungen gegen Familienangehörige
sowie Partnerinnen und Partner ein, aber auch „School Shootings“
ein. Ausgehend von Beispielen behandelt er Vorgeschichte, Ablauf bis
hin zu Möglichkeiten der Prävention. Dabei bleibt er allerdings
meistens auf der institutionellen Ebene. Besondere Aufmerksamkeit
widmet Sachs sogenannten „Leakings“, mit denen Gewalttäter ihre
Tat ankündigen (oft in Form von Drohungen gegenüber Dritten). Eine Erkenntnis, die ich besonders interessant fand.
Das
dritte Hauptkapitel bietet schließlich persönliche Verhaltensregeln
für Personen, die mit Drohungen konfrontiert werden. Diese seien
aber ausdrücklich nur als Leitlinien und nicht als fix, fertige
Rezepte für den Bedrohungsfall aufzufassen. So gesehen offeriert das
Buch zwar einen Raster, nach dem Drohungen einzuschätzen sind, wie
man mit diesen umgeht, wird aber nur punktweise – wohl auch wegen
der Vielfalt der Fälle – behandelt. Einige Konstanten kann man
allerdings für sich herausarbeiten. Darunter, dass man Drohungen auf
keinen Fall akzeptieren sollte. Denn erfolgreiche Drohungen, die von
Opfer ein erwünschtes Verhalten erzwingen, führen nur zu weiteren
Drohungen und können im Endeffekt sogar noch gefährlicher sein. Dh
nach Sachs nicht, dass man den Konflikt sofort annimmt, sondern dass
man bei Erkennen einer Drohung die Konfrontation möglichst schnell
abbricht und professionelle Hilfe (Polizei usw) holt. Denn – und
das darf man nicht vergessen – eine gefährliche Drohung ist und
bleibt zu Recht ein krimineller Tatbestand.
Sachs
schreibt trocken und er führt viel Material aus der Forschung an,
ohne deswegen in einen wissenschaftlichen Kauderwelsch abzugleiten.
Grafiken und Tabellen sorgen für leichteres Verständnis. Er gibt
klare Handlungsanweisungen nach denen Menschen, wie
Familienangehörige, medizinisches Personal, Amtspersonen usw, die
mit Drohungen konfrontiert werden, mit dieser Situation umgehen
können. Die wichtigsten Botschaften werden in kurzen Sequenzen noch
einmal zusammengefasst.
Umgang
mit Drohungen, Von Telefonterror bis Amoklauf; Josef Sachs, Orell
Füssli Verlag, Zürich 2009; 173 Seiten